Kapitel 6

Während des Diners plauderte Sophie gut gelaunt mit Braddon zu ihrer Rechten und Braddons Freund David Marlowe zu ihrer Linken. Patrick Foakes ignorierte sie dabei auf das Entschiedenste. Er saß ihr an der langen Tafel ein ganzes Stück entfernt diagonal gegenüber. Sie konnte ihn nur sehen, wenn sie unter gesenkten Lidern einen verstohlenen Blick in seine Richtung riskierte, was sie jedoch nur ein paar Mal tat. David war ein bezaubernder, jungenhafter Hilfsgeistlicher, der vom Land angereist war, um Braddons zukünftige Frau kennen zu lernen.

»Sie sind sehr tapfer, es mit Braddon aufzunehmen«, sagte er.

»Warum?« Sophie nahm einen weiteren Schluck Champagner. Sie konnte spüren, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg, aber sie ließ es geschehen. Sie ließ es zu, dass das prickelnde Getränk ihr Urteilsvermögen trübte und sie mit atemloser, trunkener Freude erfüllte.

»Braddon war in der Schule wirklich ein harter Brocken«, schmunzelte David. »Wir waren Freunde - ich, Patrick, Alex und Quill - und wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, Braddon durchzuboxen. Aber es war nicht einfach. jemand musste ihm in der Nacht vor jeder Prüfung die Fakten in den Kopf hämmern. Nicht, dass das so schwierig gewesen wäre«, fügte David hastig hinzu, als ihm einfiel, dass er die geistigen Fähigkeiten von Sophies zukünftigem Gatten besser nicht beleidigen sollte. »Das wirkliche Problem waren Braddons Streiche. Er wäre einige Male beinah von der Schule verwiesen worden.«

»Streiche?« Sophie hörte nur mit halbem Ohr zu. Weiter unten an der Tafel flirtete dieses junge französische Ding Daphne Boch wie der Teufel mit Patrick. Unter dem Tisch klopfte Sophies Schuh ungeduldig auf den Boden, als sie sah, wie Daphne sich zu Patrick hinüberlehnte und auf liederliche Weise mit ihrer Schulter an seinem Arm entlangstreifte.

David redete immer noch und Sophie musste sich zwingen, seinen Worten wieder ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

»Nehmen Sie zum Beispiel das eine Mal, als Braddon glaubte, er könne Master Woolton foppen und ihn glauben machen, er sei sein eigener Onkel. Wissen Sie, Braddons Onkel ist ein berühmter Forscher. Und Woolton hatte gegenüber Braddon erwähnt, dass er seinen Onkel gerne kennen lernen würde. Also reifte in Braddon die Idee heran, er könne mit einer passenden Verkleidung seinen Onkel darstellen. Er wollte Woolton erzählen, wie erstaunlich intelligent Braddon sei, damit dieser dann netter zu Braddon wäre.«

Sophie konnte sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. »Das ist absurd. Wie alt war er denn zu diesem Zeitpunkt?«

»Ungefähr dreizehn, vielleicht vierzehn.« Wieder lachte David. »Glauben Sie mir, wir taten unser Bestes, ihm diese Idee auszureden, aber Braddon war überzeugt, dass es funktionieren würde. Braddon hat eine große Schwäche für die Schauspielerei, wissen Sie, und deshalb -« Abrupt hielt er inne. Man erzählte einer Dame nicht, dass die Geliebten ihres zukünftigen Gatten meist Schauspielerinnen waren.

»Und deshalb ...?«, hakte Sophie nach.

»Und deshalb enthalten viele seiner Streiche ein theatralisches Element«, vollendete David den Satz ausweichend. »Braddon ist am glücklichsten, wenn er einen großen Umhang anziehen und sich einen falschen Schnurrbart ankleben kann.«

»Was wurde aus Mr Woolton?«

David schüttelte es merklich. »Braddon ging zur High Street und erstand einen ganz lächerlichen Umhang. Ich kann mir gar nicht vorstellen, für wen er ursprünglich geschneidert war. Er war schwarz mit einem roten Satinband am Saum - es war das auffälligste Kleidungsstück, das Sie sich vorstellen können. Aber Braddon behauptete, dass Forscher so etwas trügen. Und er klebte sich eine Menge falscher Haare ins Gesicht.«

»Und was passierte dann?«

»Es war natürlich ein Desaster. Woolton durchschaute ihn ohne Zweifel vom ersten Moment an, obwohl Braddon immer noch behauptet, dass Woolton ihm höflich einen Kaffee anbot und der Streich erst aufflog, als er fragte, wo Braddon den Umhang gekauft habe. Braddon erwiderte daraufhin, es sei ein Geschenk des Tringelloo-Stammes aus den oberen Regionen der Alpen.«

Sophie wandte den Kopf und bedachte Braddon mit einem langen, nachdenklichen Blick. Er kaute eifrig und wedelte mit der Gabel herum, während er sich mit Barbara Lewiston zu seiner Rechten unterhielt.

»Das ist schwer zu glauben«, sagte sie schließlich und wandte sich wieder David zu. »Offen gesagt hätte ich Braddon diese Fantasie gar nicht zugetraut.«

»Oh, die Details hat er sich auch nicht ausgedacht«, gestand David. »Das war natürlich Patricks Werk. Er war von uns dejenige mit der lebhaften Fantasie. Patrick dachte sich eine Menge Geschichten aus, die angeblich tatsächlich in den Tiefen Afrikas und hoch oben in den Alpen geschehen waren und Braddon sollte sie Woolton erzählen ... aber daraus wurde nichts, denn es stellte sich heraus, dass die Schwester Wooltons einen Laden auf der High Street besaß und Braddon den Umhang verkauft hatte! Und Woolton hatte das Kleidungsstück dort gesehen; wollte es womöglich schon immer für sich haben, der alte Trottel. Und so kam er Braddon auf die Schliche. Er hat es auch nicht sehr freundlich aufgenommen und Braddon im Anschluss drei Wochen Stubenarrest aufgebrummt.«

»Du meine Güte«, sagte Sophie. »Ihre Schulzeit klingt ja viel aufregender als meine.«

»Nicht in Eton.« David dachte einen Moment lang nach. »Der Unterricht war langweilig, aber Braddon dachte sich immer einen Streich aus und Patrick - Patrick ist ein echter Teufelskerl, müssen Sie wissen - er stachelte Braddon bei den schlimmsten Streichen regelrecht an. Und so haben die beiden unser Leben ein bisschen spannender gemacht.«

Sophie riskierte einen weiteren Blick in Patricks Richtung. Zu ihrem Entsetzen schaute er sie in dem Moment ebenfalls an und in seine Augen lag solch eine spöttische Belustigung, dass sie errötete und sich abrupt wieder David zuwandte.

»Ich glaube gerne, dass sich Patrick Foakes an Lug und Trug beteiligt hat«, sagte sie scharf. Warum konnte sie nicht endlich begreifen, dass Patrick der schlimmste aller Lebemänner war. Schließlich hatte sie sich geschworen, diese Sorte Männer zu meiden.

»Nein, da irren Sie sich«, widersprach David. »Er ist sogar sehr pingelig, was die Wahrheit angeht. Ich weiß noch, dass er stundenlang mit seinem Bruder über die Moral von gesellschaftlichen Flunkereien streiten konnte. Patrick hasst Lügen. Er wurde immer sehr wütend, wenn Alex kleine Ausreden benutzte; auch wenn er damit nur der Musikstunde entkommen wollte.«

Genau in diesem Moment erhob sich Charlotte und gab den Damen das Signal, die Herren alleine zu lassen. Dankbar reihte sich Sophie beim Verlassen des Speisezimmers hinter ihrer Mutter ein.

Nachdem sich die Damen in Charlottes Salon versammelt hatten, klatschte diese in die Hände, um die Aufmerksamkeit ihrer weiblichen Gäste auf sich zu ziehen. »Wir sollten heute Abend ein wenig tanzen, finden Sie nicht?«

Die jüngeren Mädchen schnatterten aufgeregt und forderten, tanzen zu dürfen. Sogar Sophies Mutter bemerkte, dass es ganz angemessen wäre, wenn sich die Gäste zu ein oder zwei Volkstänzen zusammenfänden.

Und so kam es, dass die Männer in den Gartensalon geführt wurden, als sie sich vom Tisch erhoben. Beim Betreten des Raums brachten sie das schwache, wohlduftende Aroma von Cognac und den anhaltenden, holzigen Geruch der Zigarren mit sich. Überrascht stellten sie fest, dass die Damen den Lakaien eifrig Anweisungen gaben, Stühle aus dem Raum zu tragen und die Sofas gegen die Wand zu schieben.

Charlotte befand die Gesellschaft für zu klein, um den Ballsaal von Sheffield House zu nutzen, in dem sich ihre Gäste winzig und verloren vorgekommen wären. Aber zehn Paare waren genau die richtige Zahl für den Gartensalon. Außerdem hatte sie angesichts der ungewöhnlich warmen Nacht sämtliche Türen öffnen lassen, und die Lakaien arrangierten große Fackeln entlang der Terrasse. Schließlich wurde eine nach der anderen entzündet, bis ihre goldenen Lichtkegel in den warmen, schwarzen Londoner Nachthimmel hinaufzeigten.

Der Graf von Sheffield und Downes, der zu den letzten Herren zählte, die den Salon betraten, betrachtete die Szene mit zusammengekniffenen Augen. Wo zum Teufel kamen diese monströsen Fackeln her? Und warum wusste er nichts von der zwölfköpfigen Musikantentruppe, die just in diesem Moment am anderen Ende des lang gestreckten Raums ihre Instrumente stimmte? Und was sagte seine anstrengende Frau gerade?

»Ich bin sicher, du bist ganz meiner Meinung, Alexander, Liebster?«, sagte Charlotte einschmeichelnd und machte vor ihm einen Knicks. Statt einer Antwort deutete Alex eine elegante Verbeugung an, aber als er sich wieder aufrichtete, nahm er seine Frau auf die Arme und trug sie aus dem Raum.

Die Damen, die Alexanders Manöver bemerkten, stießen einen leisen, überraschten Schrei aus, aber Charlotte kicherte nur. Sophies Mutter schüttelte missbilligend den Kopf und wandte sich wieder der Unterhaltung mit ihrem zukünftigen Schwiegersohn zu.

Draußen auf dem Gang ließ Alexander Charlotte langsam an seinem Körper hinuntergleiten, bis ihre Schuhe den Boden berührten, hielt sie aber weiterhin mit den Armen umfangen.

»Was hast du heute Abend vor, mein Weib?«

Charlotte konnte Alex große Hände auf ihrem Rücken spüren, die langsam nach unten glitten, während sein Atem ihr Ohr liebkoste.

»Alex!«, zischte sie. Immer wieder kamen Lakaien an ihnen vorbei, die den Gartensalon betraten oder verließen.

»Planst du etwa, die zauberhafte Sophie bei der Wahl ihres Gatten zu beeinflussen?« Alex' Hände wanderten noch ein wenig weiter nach unten, so dass Charlottes Widerstand dahinschmolz.

»Nein!«

Alex biss ihr sanft ins Ohr.

»Na gut, ja! Ich dachte, ich könnte deinem Bruder die Chance geben ...«

»Ich liebe es, wenn deine Stimme so heiser klingt«, verriet Alex seiner Gattin. »Warum gehen wir nicht nach oben und sehen nach den Kindern?«

»Nein!«

»Doch.« Warme Lippen wanderten an ihrem Hals entlang.

»Nein.« Charlotte befreite sich aus Alex' Armen und lächelte ihn an. »Du bist ein niederträchtiger Schurke«, warf sie ihm vor. »Denk nur, was Sophies Mama von uns denken würde. Du weißt doch, wie streng die Marquise ist.«

»Sie denkt das, was sie schon immer gedacht hat«, erwiderte Alexander nachdenklich. »Dass du ein zügelloses, kleines Luder bist, das mich vom rechten Weg abgebracht und dann das Gleiche mit Sophie getan hat ... und wenn sie Anlass zu dem Glauben hätte, dass du diese wunderbare Partie vereiteln willst, die sie Sophie eingeredet hat, dann würde sie dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, meine Liebe.«

»Nun, wir werden es ihr einfach nicht sagen.« Charlotte blickte Alex flehend an. »Du musst mir helfen, Alex. Willst du nicht, dass dein Zwillingsbruder glücklich wird?«

»Ich bin nicht sicher, ob Sophie Patrick glücklich machen würde«, sagte Alex. »Er scheint nicht sehr begierig darauf zu sein, sich zu vermählen.«

»Das ist doch gar nicht der Punkt. Sie stehen kurz davor, sich zu verlieben. Und wenn Sophie Braddon heiratet und sich dann in Patrick verliebt -«

Ach verstehe, was du meinst.« Alex rieb sich über das Kinn.

»Oder was, wenn Patrick die falsche Frau heiratet, und das nur aus verletztem Stolz, weil Sophie ihm einen Korb gegeben hat?«

Alex wusste von den Gefahren einer Ehe mit der falschen Frau. Er hakte sich bei seiner Gräfin unter und steuerte mit ihr auf die Tür zum Gartensalon zu.

»Was soll ich tun?«, fragte er und lächelte sie verschwörerisch an.

»Schaff mir Braddon aus dem Weg«, antwortete Charlotte wie aus der Pistole geschossen.

Der Graf und die Gräfin betraten den Salon, als wäre nichts geschehen, so als würden Grafen ihre Gräfinnen alle Tage ohne ein Wort aus dem Raum tragen.

Patrick lehnte am Piano, während Daphne Boch eine melancholische Melodie spielte und dabei sehnsüchtig zu ihm aufschaute.

Charlotte kniff ihren Mann in den Arm. »Siehst du?«

Alex blickte sie mit seinen schwarzen Augen liebevoll an. »Euer Wunsch sei mir Befehl, Gräfin.« Dann fügte er viel sagend hinzu: »Wie üblich.«

Charlotte stieg die Röte in die Wangen, als ihr Mann auf die Gruppe am Piano zuschlenderte.

Als Braddon sich vor Sophie verbeugte, bemerkte diese aus den Augenwinkeln, dass Patrick ganz selbstverständlich! -Miss Boch um den ersten Tanz, einen Kotillon, bat. Während Sophie und Braddon sich sittsam und steif über die Tanzfläche bewegten, bestand zwischen ihren Körpern ein Abstand, der weitaus größer war, als es die Schicklichkeit verlangte. Sophie begegnete dem Blick ihrer Mutter, in dem ein wohlwollendes Lächeln lag.

Sie tanzten gerade recht schwerfällig auf das andere Ende des Raums zu, als Braddon Sophie abrupt nach hinten zog.

»Tut mir Leid, Lady Sophie«, sagte Braddon und schnaufte ein wenig auf Grund der ungewohnten Anstrengung. »Foakes ist ein rücksichtsloser Tänzer. Schon immer gewesen.«

Sophie blickte sich neugierig um. Patrick schien das Wohlbefinden der anderen Tänzer tatsächlich völlig außer Acht zu lassen. Er und Daphne bewegten sich schwungvoll über die Tanzfläche, wobei er Daphnes Hände hoch in die Luft hielt. Vielleicht waren Daphnes Wangen daher so rosig, oder vielleicht lag es auch an dem Tanzstil ihres Partners. Plötzlich vollführte Patrick eine Reihe improvisierter, schneller Drehungen und wirbelte Daphne immer wieder im Kreis herum, bis das junge Mädchen lachend protestierte. Als sie das untere Ende des Raums erreichten, lächelte Patrick seine Partnerin gut gelaunt an.

»Mylord, in meinem Kopf dreht sich alles!«, rief Daphne ein wenig spröde und Sophie zog die Nase kraus, als sie und Braddon ihre schickliche Darbietung beendeten und stehen blieben.

»Das wäre geschafft«, sagte Braddon mit einem Seufzer und wischte sich mit einem großen seidenen Taschentuch die Stirn. »Ist ein bisschen heiß hier drinnen, nicht wahr? Würden Sie gerne nach draußen gehen? Dagegen kann wohl Dank unseres Zustands niemand etwas einzuwenden haben.«

Sophie starrte ihn an und war sich nicht ganz sicher, was er damit meinte.

»Wir sind verlobt«, erklärte Braddon geduldig. Er war daran gewöhnt, dass man ihn nicht verstand, und nahm es niemandem übel.

»Oh ja«, murmelte Sophie. Sie gestattete ihm, sie auf die Terrasse hinauszuführen, wo sich bald auch die Mehrheit der anderen Tänzer einfand. Als Sophie sah, wie Patrick Daphne Boch auf die Terrasse führte, wandte sie sich ab.

»Kommen Sie, Braddon«, sagte sie kurz angebunden.

Braddon blickte sie überrascht an. Seine Verlobte hatte ihn noch nie beim Vornamen genannt. Und nun ging sie auch noch an den Töpfen vorbei, die die Terrasse säumten, und steuerte auf einen der Gartenpfade zu.

Oh ich muss schon sagen«, murmelte Braddon überrascht und stürzte ihr nach.

Sophie blieb just außerhalb des Lichtscheins der Fackeln stehen.

»Sie haben ganz Recht, mein Herr«, sagte Sophie und tätschelte beruhigend Braddons Arm. »Dank unseres Zustands kann wirklich niemand schlecht von uns denken.« Sie gingen ein Stück den mit roten Ziegeln gesäumten Weg entlang.

»Es ist recht dunkel hier draußen«, sagte Braddon und er klang ein wenig ratlos. Was taten sie hier draußen im Garten? Was würden die Leute denken? Ihm kam das alles merkwürdig vor.

Sophie blieb stehen und lehnte sich gegen einen Baum. Im weichen Licht des Mondes schimmerte ihr Kleid wie pures Gold.

»Würden Sie mich gerne küssen?«

Braddon blickte überrascht auf sie hinunter. »Nein«, antwortete er, ohne lange nachzudenken.

»Nein?«

»Das heißt, ja, natürlich«, stammelte Braddon, dem klar war, dass der schockierte Ausdruck auf Sophies Gesicht ein schlechtes Omen für ein friedliches Eheleben bedeutete. »Ich denke einfach nicht auf diese Art und Weise an Sie«, fügte er hastig hinzu und machte damit alles nur noch schlimmer.

»Sie denken nicht auf diese Art und Weise an mich?«

Zu seiner Erleichterung schien Sophie nicht zu der hysterischen Sorte Frau zu gehören. Sie sah eher nachdenklich und wirklich sehr bezaubernd aus. Er bevorzugte zwar Frauen mit etwas mehr Fleisch auf den Rippen, aber Braddon war sicher, dass Sophie York eine sehr hübsche Gräfin abgeben würde.

»Sie sind sehr schön«, sagte er in der Hoffnung, dass sie dieses Friedensangebot annahm.

»Danke, Braddon.« Sophie seufzte. Ach denke, wir kehren besser zu den anderen Gästen zurück.«

Ihre Gedanken überschlugen sich angesichts dieser Blamage. Sie würde einen Mann heiraten, der sie nicht küssen wollte, und der Mann, den sie küssen wollte, ignorierte sie völlig.

Genau in diesem Augenblick tauchte Alex in der hohen Terrassentür auf und lächelte freundlich. »Lady Sophie, dürfte ich Ihren Verlobten einen Augenblick entführen?«

Nachdem er sich schnaufend vor ihr verbeugt und anschließend seine Weste nach unten gezogen hatte, folgte Braddon Alex glücklich ins Haus und ließ Sophie alleine und verloren auf der Terrasse zurück. Sie schlenderte zur linken Seite der Terrasse, denn auf der anderen Seite war er

Lucien Boch begrüßte sie lächelnd. Er war ihr der liebste unter ihren Verehrern, aber dennoch betrachtete sie ihn mit kühler Vorsicht. Schließlich war es Luciens Schwester, die wie eine alberne Gans an Patricks Arm hing.

»Wehe mir!«, sagte Lucien, und in seinen schwarzen Augen blitzte es charmant. »Aus irgendeinem Grund bin ich bei meiner Lieblingsengländerin in Ungnade gefallen. Versprechen Sie mir, dass es nichts mit Ihrer bevorstehenden Vermählung zu tun hat, Lady Sophie! Mein Herz wird Ihnen auf ewig zu Füßen liegen ... Vermählung hin oder her.«

Angesichts dieses Unsinns konnte sich Sophie ein Lächeln nicht verkneifen.

Lucien beugte sich vor und sein französischer Akzent verlieh seinen Worten einen äußerst verführerischen Klang. »Ich muss Ihnen sagen, Lady Sophie, dass ein echter Franzose sich nie durch eine lumpige Eheschließung daran hindern lassen würde, seiner wahren Liebe sein Herz zu Füßen zu legen. Niemals.«

»Davon bin ich in Ihrem Fall überzeugt«, erwiderte Sophie mit einem Lachen. »Aber wir, die wir nur halbe Franzosen sind ... nun, wir fühlen uns an die Konventionen gebunden.«

»Welch schrecklicher Verlust«, sagte Lucien bedauernd. »Sie müssen mir aber zumindest versprechen, werte Dame, dass ich Ihr Kavalier bleiben darf, wenn Sie eine Gräfin geworden sind. Ich werde -« Was immer Lucien auch an übertriebenen Versprechungen abgeben wollte, so wurde er von Charlotte unterbrochen, die laut in die Hände klatschte.

»Hört, hört«, sagte sie fröhlich. »Bevor wir den heutigen Abend beenden, wollen wir noch ein altmodisches Spiel spielen. Ich schlage vor, wir spielen Verstecken. Oder vielleicht doch lieber Blinde Kuh?«

»Verstecken!«, riefen die jungen Damen.

»Dann also Verstecken«, sagte Charlotte. Sie hielt ein langes, lilafarbenes Tuch in die Höhe. »Da diese Party ihr zu Ehren stattfindet, fängt Lady Sophie an. Wer sie findet, muss das Tuch nehmen und ist selber an der Reihe. Es gibt nur eine Regel: diejenige, der das Tuch hat, muss ehrlich antworten, wenn er danach gefragt wird.«

Es gab einige Einwände und Fragen und Charlotte musste erneut die neuen Regeln erklären vor allem, was es mit dem Tuch auf sich hatte. Bald bemerkte sie das Leuchten in den Augen ihrer Gäste, denen klar wurde, dass sich während des Spiels endlose Möglichkeiten zu Tändeleien bieten würden. Auf Charlottes Anweisung hin nahmen Lakaien die erleuchteten Fackeln und verteilten sie entlang der gewundenen Pfade, so dass der Garten bald wie ein nächtlicher Sternenhimmel funkelte.

Bevor Sophie wusste, wie ihr geschah, stürzte Charlotte auf sie zu und band ihr das Tuch um den Hals. »Geh zum Sommerhaus!«, flüsterte Charlotte und versetzte ihr einen sanften Schubs. Ohne lange nachzudenken lief Sophie den Gartenpfad entlang.

Sie fühlte sich elend und erbärmlich. Was, wenn Charlotte mit ihrer beharrlichen Meinung Recht hatte, dass es ein Fehler war, Braddon zu heiraten? Sophie erreichte das Sommerhaus und ließ sich auf eine weiße Bank sinken. Sie war dankbar für den Moment der Stille. In der Ferne hörte sie Charlottes hohe, klare Stimme, die bis hundert zählte.

Nein, es war richtig, Braddon zu heiraten. Denn wenn sie mit kühlem Kopf über den Verlauf des Abends nachdachte, dann war es nicht Braddons fehlender Wunsch, sie zu küssen - wen kümmerte das überhaupt? -, sondern Patricks Flirt mit Daphne Boch, der sie so unglücklich machte. Und diese brennende Eifersucht war genau das Gefühl, das sie durch die Vermählung mit Braddon zu meiden suchte.

Sophie lehnte ihren Kopf gegen den Gitterrahmen der Gartenlaube und schloss die Augen. Ihre Gedanken ordneten sich und alle Qual fiel von ihr ab. Ich sollte die Heirat mit Braddon vorantreiben, dachte sie. Denn wenn ich erst einmal Braddons Frau bin, mich nach Patrick

dann werde ich aufhören, Foakes, dem schlimmsten Lebemann von allen, zu verzehren.

Überrascht riss sie die Augen auf, als sie spürte, wie jemand sanft an dem Tuch zog, das um ihren Hals lag.

Oh Ich habe Sie gar nicht näher kommen gehört«, sagte sie schwach.

»Hmmm.« Patrick Foakes zog stärker an dem Tuch und Sophie neigte gehorsam den Kopf, als der seidige Stoff von ihrem Hals glitt. Plötzlich erfasste sie eine Scheu, als sie Patricks Blick begegnete.

»Denken Sie über die Freuden der Ehe nach?« Seine Stimme klang sanft, beinah harmlos.

Sophie erhob sich. Sie machte sich keinerlei Illusionen, wohin diese Unterhaltung führen Würde. Sie machte einen Schritt nach vorne, aber Patrick stand im Eingang der Laube und hatte das eine Bein auf die oberste Treppenstufe gestellt. Er rührte sich nicht von der Stelle, als sie näher kam.

Erregung erfasste ihren Körper und ein elektrisierendes Gefühl der Schwäche ließ ihr die Knie weich werden.

»Die Freuden der Ehe«, wiederholte sie nachdenklich und anzüglich zugleich. Ein leises Lächeln tauchte in ihren Mundwinkeln auf. »Sind sie sehr süß?« Sie legte den Kopf zur Seite wie ein neugieriges Rotkehlchen.

»Ich glaube schon.« Patricks Miene war völlig unbeweglich. Sophie York war ein unglaublich aufreizendes Geschöpf. Er sollte verdammt sein, wenn er je zuvor solch eine verführerische Frau gesehen hatte. Ihre Haare waren zur Seite gefallen, und das Mondlicht tauchte ihren lilienweißen Hals in ein schimmerndes Licht.

Er stieg die Treppe zur Laube hinauf. Seine große Hand vergrub sich in ihren Locken und zog ihren Kopf zur Seite.

»Was tun Sie da?« Sophie war keineswegs beunruhigt, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie den ganzen Abend auf diesen Moment gewartet. Sein kräftiger Körper war ihr so nah, dass sie seine Hitze durch den dünnen Stoff ihres Kleides spürte.

»Kennen Sie das Gedicht mit der Zeile: >Deine Lippen sind rot, weich und süß<?«, fragte Patrick mit rauer Stimme. Sie spürte, wie seine Finger durch ihre seidigen Locken glitten. »Kennen Sie das Gedicht, Sophie?«

»Nein«, erwiderte sie ein wenig zittrig. Wieder zog er an ihrem Haar, und ihr Kopf neigte sich zur Seite, während seine rechte Hand sie gegen seinen muskulösen Körper presste. Ihr leises Aufstöhnen verhallte in der Nacht, als seine warmen Lippen ihre dargebotene Kehle liebkosten.

»>Deine roten, weichen Kirschlippen verraten, diese süße Frucht ist zum Probieren bereit.<«, sagte Patrick langsam und unterstrich jedes seiner Worte mit einem Kuss.

Ast das eine der >Freuden der Ehe<?« Sophie bemühte sich verzweifelt, trotz der erregenden Empfindungen, die er in ihr geweckt hatte, vernünftig zu bleiben.

»Eine von ihnen«, bejahte Patrick ihre Frage. Er presste sie an sich, während seine Hände über ihren schmalen Körper wanderten. Als sie über die Rundungen ihres Popos glitten und an der empfindsamen Rückseite ihrer Schenkel angelangten, entfuhr Sophie ein Keuchen. Schließlich kehrten Patricks Hände zu ihren üppigen Brüsten zurück und befreiten sie mühelos aus Madame Carêmes knappem Mieder.

Ach weiß nicht, ob ...«

Sophie verstummte, als Patricks Mund sich fordernd auf ihren legte und ihr ungeahnte Sinnesfreuden verhieß. Unaufgefordert öffneten sich ihre Lippen, während ihre Hände nach oben wanderten und sich in seinem lockigen Haar vergruben.

Als Patrick sich von ihr löste, um auf die Geräusche zu lauschen, die vom Haus zu ihnen herüberdrangen, strebte sie ihm ungeduldig entgegen und bot ihm ihren Mund zum Kuss.

»Du bist ein kostbares Juwel«, sagte Patrick mit heiserer, hilfloser Stimme. Oh Sophie.«

Sophie lächelte und empfand in der Dunkelheit des Sommerhauses eine zu Kopf steigende Verwegenheit. »Wenn ich ein kostbares Juwel bin, wissen Sie mich dann auch angemessen zu würdigen?«

Statt einer Antwort zog Patrick sie mit einem Funkeln in den Augen ungestüm ein weiteres Mal an sich.

»Seltsam.« Seine Stimme war weich wie Samt. »Sie scheinen weiter zu spielen, obwohl wir das Tuch haben.« Sophie hörte natürlich auch die aufgeregten Rufe der anderen Gäste in der Ferne.

Das Geräusch brachte sie wieder zu Sinnen. »Nein! Man könnte uns sehen!«

Patrick hielt augenblicklich inne und löste seine Lippen von den ihren. »Das ist das einzige, was Sie interessiert, nicht wahr?« Sein Mund verzog sich. »Wenn uns jemand entdeckte, müssten Sie mich heiraten statt Ihren Grafen.«

Sophie begriff die Bedeutung seiner Worte gar nicht. Das Mondlicht, das durch das Dach der Gartenlaube fiel, erhellte die Konturen von Patricks Gesicht und betonte die raue Schönheit seiner Wangenknochen und die dunklen Schatten, die seine Wimpern warfen.

Ohne nachzudenken hob sie die Hand an seine Wange. »Wie schön du bist«, flüsterte sie.

Aber Patrick schreckte vor ihrer Berührung zurück. »Ich fürchte wirklich, Lady Sophie, dass Ihr Verlobter Sie bereits vermisst.« Seine Stimme klang galant, aber sein Gesicht wirkte völlig unnachgiebig.

Sophie wollte etwas sagen, hielt dann jedoch inne. Er hatte Recht.

Angesichts des vielsagenden Schweigens zwischen ihnen verdüsterte sich Patricks Miene. Ohne zu zögern band er sich das lilafarbene Tuch um den Arm. »Es war bezaubernd, Sie wiederzusehen, Gräfin. Wie immer.«

Sophie fröstelte trotz der warmen Nachtluft und langsam kullerten zwei Tränen über ihre Wangen.

0 Gott, jetzt war es passiert. Ihr Leben war ruiniert. Sie hatte sich in einen Lebemann verliebt, auch ohne ihn vorher zu heiraten. Zwei weitere Tränen folgten.

Unbewusst imitierte sie die Haltung ihrer Mutter und richtete sich kerzengerade auf Zumindest würde er es nie erfahren ... und das Gleiche galt für den Rest der Welt. Sie würde von nun an dafür sorgen, dass ganz London glaubte, dass sie Braddon abgöttisch liebte. Sollten sie jemals auch nur vermuten, was sie für Patrick empfand, wäre die Blamage nicht auszudenken. Erneut überlief Sophie ein Frösteln.

Als sie den Garten verließ, traf sie auf zweijunge Damen, die aufgeregt über Tücher und gestohlene Küsse plapperten und gemeinsam stürzten sie durch die Türen ins Haus. Dabei klang Sophie das eigene Kichern hohl und unecht in den Ohren wider.

Wie es für das englische Klima typisch war, schlug das Wetter plötzlich um. Regenböen löschten die zischenden Fackeln und die Lakaien zogen die Verandatüren hinter den Mädchen zu.

Braddon saß neben seiner Mutter und blickte dankbar zu ihr auf, als Sophie näher kam. »Mylord.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Braddon verbeugte sich vor ihr. »Lady Sophie, ich glaube, es wird wieder zum Tanz gespielt. Würden Sie mir die Ehre erweisen?«

Als sie recht schwerfällig eine Gavotte begannen, überkamen Sophie einen Moment lang Zweifel. Vor ihr lag ein Leben voller schwerfälliger Tänze. Nichts konnte sie zu der Annahme verleiten, dass Braddons Taillenumfang sich nach ihrer Heirat verringern würde. Es sah sogar eher danach aus, als ob Braddon den mächtigen Bauch seines verstorbenen Papas bekommen würde.

Aber als sie am anderen Ende des Raums ankamen, blickte sie auf und begegnete Braddons freundlichen, blauen Augen, die sie anstrahlten. »Hatten Sie Spaß im Garten, Lady Sophie? Da hat sich Lady Sheffield ja ein teuflisches Spiel ausgedacht, was? Ich hatte das Tuch auch eine Weile«, gestand er ihr, »aber dann kam Patrick Foakes anstolziert und hatte auch eines, das meinem aufs Haar glich. Es sieht wohl so aus, als hätten sie Schindluder mit uns getrieben. Also so was.«

Sophie dachte verwundert über seine Worte nach. Schindluder war wohl genau der richtige Ausdruck. Zwei Tücher - und wieso hatte Patrick sie so schnell gefunden?

»Braddon«, sagte sie, »können wir uns einen Moment hinsetzen? Ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen.«

Braddon wirkte ein wenig beunruhigt. Damen, die sich unterhalten wollten, schnitten seiner Erfahrung nach selten ein angenehmes Thema an.

Und so war er tatsächlich einen Moment später zutiefst schockiert.

»Aber - aber - Lady Sophie!«

»Ich kann einfach nicht warten. Meine Gefühle für Sie sind zu stark.« In Sophies Blick lag ein Ausdruck süßer Qual, als sie zu Braddon aufschaute.

Doch sie erkannte schnell, dass es keinen Sinn hatte, weiterhin zu behaupten, dass sie aus Liebe mit ihm durchbrennen wollte. Diese Vorstellung würde bei Braddon und seinem prosaischen Gemüt keinen Anklang finden. Sie senkte die Stimme.

»Es ist wegen meiner Mutter. Sie treibt mich an den Rand des Wahnsinns. Sie und ich« - sie legte die Hand auf Braddons Arm - »wir sind erwachsen, mein Gott.«

»Das stimmt.« Braddon war immer noch unsicher, aber als Sophie ihre Mama erwähnte, vespürte er einen Anflug von Mitgefühl für seine Verlobte. Da hatten sie nun wirklich etwas gemeinsam. »Ich weiß genau, was Sie meinen«, gestand er. »Meine Mutter hat ... nun, Sie kennen sie ja.«

»Dann wollen wir durchbrennen!« Sophie blickte Braddon hoffnungsvoll an.

»Das geht nicht, meine Liebe.« Braddon schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht richtig. Und außerdem würde meine Mutter mir das nie verzeihen und es mir mein Leben lang vorwerfen. Wissen Sie, sie spricht heute noch davon, als ich einmal ihr Verbot missachtete und davonlief, um einen Hahnenkampf anzusehen. Und da war ich erst zwölf Jahre alt.«

Sophie lehnte sich nach vorne und schaute Braddon so betörend wie möglich an. Sie zog sogar einen kleinen Schmollmund.

»Oh Braddon, Sie haben doch wohl keine Angst vor Ihrer Mutter, oder?«

»Natürlich habe ich das«, erwiderte Braddon. »Meine Mutter ist ein Angst einflößender, alter Drache, da können Sie jeden fragen. Außerdem« - und dabei blickte er sie misstrauisch an - »geht es hier nicht eigentlich darum, dass Sie Angst vor Ihrer Mama haben?«

Sophie war gerade dabei, ihre Argumente für eine neue Attacke zurechtzulegen, als sich eine strenge Stimme in ihre Unterhaltung einmischte. Sophies Mutter, die Marquise, stand vor ihnen, und ihr hervorgereckter Busen verriet äußerste Abscheu.

»Diese Party«, sagte sie erbittert, »ist ein Affront.«

Automatisch sah sich Sophie nach ihrem Vater um. Da war er ja. Er saß ganz harmlos neben Sylvester Bredbeck, nachdem er sich schon den ganzen Abend über korrekt verhalten hatte - zumindest in den Momenten, in denen Sophie ihn beobachtete hatte.

Braddon erhob sich hastig und bot der Marquise seinen Stuhl an.

Eloise setzte sich, obwohl sie offensichtlich viel lieber nach ihrer Kutsche verlangt hätte. »Miss Daphne Boch ist unauffindbar«, sagte sie mit eisiger Stimme, »und das Gleiche gilt für Patrick Foakes, den Bruder des Gastgebers.« Sie richtete einen Blick auf ihre Tochter, der einem Basilisken zur Ehre gereicht hätte. »Wie es scheint, wurden sie das letzte Mal gesehen, als sie in Richtung Garten gingen. Miss Daphnes Bruder kann sie scheinbar nirgends finden.«

Braddon schluckte. »Ich bin sicher, sie werden bald wieder auftauchen«, sagte er, denn ihm waren die Gerüchte, die um Sophie und Patrick im Umlauf waren, nur zu gut bekannt.

Sophie starrte auf die Hände in ihrem Schoß hinunter, die sie ohne es zu merken ineinander verkrallt hatte. Sie befürchtete, dass sie sich nie wieder voneinander lösen würden.

»Ich bin sicher, diese junge Dame wird nicht so töricht sein und Foakes Antrag ablehnen.« Eloise warf ihrer Tochter erneut einen zornigen Blick zu. Es ärgerte Eloise bis ins Mark, dass sich ihre Tochter mit einem Mann blamiert hatte, der es sich ganz offensichtlich zum Hobby machte, junge Damen zu kompromittieren. Foakes musste wie zweifelt auf der Suche nach einer Braut sein oder etwas in der Art.

Sophie spürte, wie Braddon tröstend seine Schulter gegen sie presste, als er sich einen Stuhl heranzog. Sein Stimme klang beschwichtigend. »Patrick hat mir erzählt, dass Lady Sophie seinen Antrag abgelehnt hat, und ich muss sagen, ich

bin sehr glücklich, dass sie noch frei war, meinen Antrag anzunehmen.«

Braddon nahm Sophies verschlungene Hände in die seinen und löste sie mit einem kurzen Ruck voneinander. Dann hob er ihre leblosen Finger mit einer romantischen Geste an die Lippen und drückte ihnen einen Kuss auf.

Die Marquise betrachtete Braddon wohlwollend. Hier war endlich mal ein junger Mann mit den richtigen Ansichten, und außerdem verstand er es noch, sich nett auszudrücken. Er erinnerte Eloise an die Stutzer, die ihr in ihrer Jugend den Hof gemacht hatten.

Sophies Herz raste. Patrick würde heiraten und diese französische Schlampe Daphne zur Frau nehmen.

»Maman«, sagte sie und hob endlich den Kopf. »Ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen. Darf mich Lord Slaslow nach Hause begleiten?«

Eloise richtete einen strengen Blick auf ihre Tochter. Wollte sie ihre Verlobung durch ein überstürztes, unbedachtes Verhalten ruinieren, durch das der Graf eine schlechte Meinung über sie entwickeln könnte? Nein. Sophie sah tatsächlich recht blass und unwohl aus. Ein Ausdruck mütterliche Sorge erschien auf Eloises Zügen.

»Natürlich«, erwiderte sie. »Ich werde deinen Vater suchen, und wir werden uns sobald wie möglich verabschieden. Und ich werde dich und Lord Slaslow bei unseren Gastgebern entschuldigen, sobald ich sie gefunden habe.« Sie sah sich im Gartensalon um, aber weder Alex noch Charlotte waren zu sehen.

»Fahr sofort nach Hause, Sophie, und lass dir von der Köchin eine gewürzte, heiße Milch zubereiten. Bei Kopfschmerzen hilft nichts besser als eine gewürzte, heiße Milch.«

Sophie lächelte ihre Mutter an und umklammerte mit kalten Fingern Braddons Samtumhang. Braddon ist solch ein zuvorkommender Mensch, dachte sie dankbar, während er sie rasch aus dem Raum voll plaudernder Paare führte. Alle sprachen sie nur von dem Verschwinden von Daphne Boch, Patrick Foakes und Daphnes Bruder Lucien. Alle waren sich einig, dass Lucien Patrick gefordert hatte, und sie in diesem Moment ihre Sekundanten wählten.

In der Zwischenzeit hatte sich Sophie eine andere Taktik ausgedacht. »Sehen Sie, Braddon«, sagte sie und setzte sich auf die andere Seite der Kutsche, direkt neben ihren zukünftigen Verlobten, »wir brauchen einen Plan, wie wir diesen langen, steifen Partys und ermüdenden Verpflichtungen entgehen können, bei denen wir uns in den nächsten vier Monaten furchtbar langweilen werden ... es sei denn, wir schmieden einen Plan.«

»Einen Plan«, wiederholte Braddon.

Blitzte da etwa ein Funken von Interesse in seinen Augen auf?

»Ich dachte mir, Sie könnten sich einen großen dunklen Umhang besorgen«, sagte Sophie verschwörerisch. »Und vielleicht könnten Sie sich einen falschen Bart besorgen, wie ihn die Schauspieler tragen. Natürlich nur, wenn Sie wissen, wo man so etwas findet.«

»Mein Gott, da weiß ich genau das Richtige!« Braddon war ganz aufgeregt. »Aber wozu denn?«

»Für unsere Flucht«, rief Sophie. »Wenn wir erst einmal verheiratet sind, werden wir natürlich ein häusliches, ruhiges Leben führen. Ohne solche theatralischen Eskapaden. Wahrscheinlich werden wir nur selten ins Theater gehen. Dies wäre ein letztes Abenteuer - und wir benötigen nur einen brillanten Plan, um es durchzuführen!«

»Ach ja«, seufzte Braddon sehnsüchtig. Visionen von gemieteten Perücken und einem gelockten Schnauzbart tauchten vor seinem geistigen Auge auf.

»Denn wenn wir unseren Müttern gestatten, diesen Teil unseres Lebens zu bestimmen«, sagte Sophie ernsthaft, »dann werden sie versuchen, in unserer Ehe ebenfalls sämtliche Entscheidungen zu treffen. Meine Mutter hat sogar verkündet, dass sie jede freie Minute mit mir verbringen will, wenn ich erst einmal verheiratet bin.«

»Wirklich?«, fragte Braddon mit tonloser Stimme.

»Ja, und ich denke, dass es noch schlimmer wird, wenn wir erst einmal Kinder haben. Denn unser beider Mütter werden ständig in unserem Haus ein- und ausgehen und erwarten, von den Kindern unterhalten zu werden. Wir müssen einen Schritt in unsere Freiheit tun.«

Braddon war ein wenig verwirrt. Was redete sie nur immerzu von Freiheit? »Ich verstehe nicht, warum ich einen Umhang kaufen soll.«

»Sie brauchen den Umhang, damit niemand Sie erkennt, wenn wir durchbrennen«, erklärte Sophie. »Die Menschen achten meist nur auf die Kleidung. In einem Umhang und mit einem falschen Bart könnten Sie sich als jedermann ausgeben.«

Einen Moment lang herrschte Stille. »Das mag stimmen«, räumte Braddon ein, »aber ich verstehe dennoch nicht -«

»Wenn Sie mich nicht entführen wollen«, unterbrach ihn Sophie verzweifelt, »dann brauchen wir eigentlich gar nicht erst zu heiraten. Und wenn Sie morgen Abend nicht zu meinem Haus kommen, werde ich Sie niemals heiraten, Braddon Chatwin!« Zu seinem Entsetzen musste Braddon erkennen, dass seine Verlobte offensichtlich einen Hang zu Hysterie hatte. Und so wie sie seinen Arm umklammerte, würde sie seinen Samtumhang völlig zerknittern.

Vor seinem geistigen Auge tauchte das Gesicht seiner Mutter auf, wenn er ihr mitteilte, dass Sophie die Verlobung gelöst hatte. Aber noch stärker war in ihm das unbändige Verlangen nach Fettschminke und Klebstoff, mit dem man sich einen falschen Bart im Gesicht befestigte. Es machte solch einen Spaß, sich einen wallenden Umhang über die Schultern zu werfen. Ganz in Schwarz gekleidet, würde ihn niemand als »dummen Slaslow« bezeichnen oder ihn mit anderen, noch weniger schmeichelhaften Spitznamen betiteln.

»Sie brauchen deshalb gar nicht so reizbar zu sein«, sagte er schließlich. »Na gut. Ich mache es.«

Sophie wusste, dass sie ihren Erfolg festigen musste, bevor Braddon noch einmal darüber nachdachte oder, was noch schlimmer wäre, den Plan mit einem vernünftigen Freund besprach.

»Ich erwarte Sie morgen Abend«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Morgen um Mitternacht. Und erzählen Sie es bestimmt niemandem, Braddon. Die Leute können einemjeden Spaß verderben.«

Sophie senkte die Stimme zu einem aufgeregten Flüstern. »Mitternacht ist die beste Zeit für ein Entführung ... ich werde dafür sorgen, dass eine Leiter an meinem Fenster steht. Wenn Sie in Ihrem Umhang auftauchen, können Sie die Leiter hochsteigen und mich davontragen!«

Braddon war fasziniert von der Idee, mit wehendem Umhang eine Leiter hinaufzuklettern und mit einer hübschen Jungfrau in die Nacht zu entschwinden. Und da er Sophie sowieso heiraten wurde, konnte er es ebenso gut hinter sich bringen.

»Na gut«, stimmte er zu. »Um Mitternacht also.«

Die Kutsche hielt mit einem Ruck. Als der Lakai den Schlag öffnete, stieg Braddon aus und fühlte sich viel schneidiger als beim Einsteigen. Er streckte die Hand aus, und Sophie legte ihre kleinen Finger vertrauensvoll hinein. Als er sie die Marmorstufen zur Tür hinaufführte, blieb sie eine Stufe über ihm stehen, so dass ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren.

»Sie sind mein Held«, flüsterte sie.

Wie hypnotisiert beugte sich Braddon vor und seine Lippen streiften ehrfürchtig die ihren. Dann verbeugte er sich und verschwand.

Sophie betrat müde aber zufrieden das Haus. Was machte es nun noch, wenn Patrick Foakes ein schreckliches französisches Mädchen heiratete, das sich ihm an den Hals geworfen hatte? Sie, Sophie, würde lange verheiratet sein, bevor Patrick mit Lucien Boch den Ehekontrakt arrangiert hatte. Und wenn sie erst einmal vermählt war, würde sie weder an Patrick noch an seine beunruhigenden Augen oder seine leichten Berührungen denken. Nie wieder.

Im Haus der Sheffields ertönte ein leises, aufgeregtes Zischen, als Patrick Foakes Schulter an Schulter mit seinem Bruder, dem Grafen, durch die Terrassentüren in den Gartensalon geschlendert kam. Miss Daphne Boch war nirgends zu sehen!

Barbara Lewnstown hielt sich für eine besondere Freundin Daphnes und war eifrig damit beschäftigt gewesen, Daphnes zukünftiges Eheleben mit Patrick zu kommentieren.

»Oha«, rief sie Patrick ungezwungen zu. »Wo ist denn meine liebe Daphne?«

Patrick wirkte außerordentlich desinteressiert. »Sobald wir das Haus verlassen hatten, stach sie eine Biene unter dem Auge. Es schwoll ganz

fürchterlich an«, fügte er hinzu, als Barbara erschrocken aufkreischte. »Charlotte hat sie fortgeführt und ihr eine Schlammpackung aufgelegt.«

Von einer Romanze zu einem geschwollenen Bienenstich ... Nicht einmal die schlimmsten Klatschmäuler konnten die Überzeugung hegen, dass Patrick dem armen Mädchen am nächsten Morgen einen Antrag machen musste. Möglicherweise brachte dieser Stich ihn ein für alle Mal von ihr ab, argumentierten sie. Sein Ton war viel zu leidenschaftslos für jemanden, den das schreckliche Schicksal des Mädchens berührt hatte. 0 Gott, Daphne konnte wahrscheinlich eine Woche oder länger nicht an gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
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